Digitale Souveränität (Vorlage Rebitschek)

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Was bezeichnet dieser Begriff?

Trotz seiner Präsenz im Diskurs der Digitalisierungspolitik gibt es keinen Konsens über das Konzept.[1] Verschiedene Definitionen und Operationalisierungen sind national und international vorzufinden, schon allein begründet durch die disziplinären Entwicklungen (Politikwissenschaften, Geschichte, Rechtswissenschaft). Pragmatisch konstituiert sich der Begriff als Zielzustand des Ausmaßes von Selbstbestimmung bzw. von selbstbestimmter Handlungsfähigkeit im digitalen Kontext. Er kann sich dabei auf Institutionen, Gemeinschaften wie Individuen beziehen.

Digitale Souveränität des Individuums schließt Mensch und Umwelt ein.[2] Auf der einen Seite stehen Individualvoraussetzungen wie Ressourcen und Kompetenzen, ein Set von Merkmalen, welches ein kritisches Verständnis der digitalen Umwelt und einen für das eigene Leben dienlichen Umgang mit dieser ermöglicht (z.B. Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten). Auf der anderen Seite stehen die Bedingungen dieses Erlebens und Verhaltens: Normen, Gesetze und Regeln sowie normalisierende und normierende Bedingungen der digitalen Umwelt (z.B. Entscheidungsarchitekturen[3]).

Konkret fordert die Umwelt – Staat und Wirtschaft in einem kontinuierlichen Transformationsprozess und das sich stetig entwickelnde Dispositiv der Digitalgesellschaft – die Ausübung von digitaler Souveränität der Bürgerinnen und Bürger bei der Nutzung digitaler Dienste und Geräte (Nutzersouveränität; z.B. Nutzen eines Smartphones und der App der Deutschen Bahn, um ein Ticket zu kaufen), bei der Datenproduktion im Kontext der Vernetzungen (Datensouveränität, z.B. Teilen von eigenen Standortdaten mit der Deutschen Bahn) und vor allem in der Interaktion mit Algorithmenentscheidungen heraus (Algorithmensouveränität, z.B. vorgeschlagene Routen und Preise). Die jeweiligen Ziele bei der Souveränitätsausübung können dabei vollkommen analoger Natur sein (z.B. Reise mit der Eisenbahn).


Wonach muss ich fragen?

Digitale Souveränität übt der bzw. die Einzelne dann aus, wenn er oder sie kraft seiner Kompetenz selbstbestimmt digitale Dienste und Geräte nutzt, Daten produziert und Entscheidungen bezüglich algorithmischer Entscheidungsunterstützungssysteme (ADM) trifft, diese anwendet oder informiert („als Objekt dieser Systeme“ bzw. als Betroffene oder Betroffener) daran teilnimmt. Wonach sollte man im letztgenannten Fall fragen, wenn man und sein Verhalten von einem ADM vermessen wird, um Vorhersagen, Informations- und Angebotsstrukturen zu erhalten oder gar Gegenstand von Verhaltenssteuerung zu sein (Scoring)[4][5].

  • Was ist der Zweck des ADM und wie ist dieser Zweck bisher erreicht worden? Was habe ich davon, dass hier ein ADM hinzukommt?
  • Welche Relevanz hat das Vorhersage-Ziel (was mir – über mich – als Ergebnis ausgegeben wird) und welche Konsequenzen hat die Wahl dieses Ziels? Wären andere Ziele relevanter für mich?
  • Welches Zielkriterium wurde gewählt, also welcher Maßstab von Normalität oder Leistungsfähigkeit bzw. Abweichungen davon?
  • Welcher mögliche Nutzen und Schaden des ADMs wurde auf individueller, sozialer und gesellschaftlicher Ebene bereits ermittelt? Wird darüber überhaupt informiert? Falls nein, dann ist keine Teilnahmegrundlage gegeben?
  • Welche meiner Merkmale (Eigenschaften) und Verhaltensweisen werden in welchem Umfang berücksichtigt? Stimme ich dem zu? Wie ist die Qualität dieser Daten – sind sie zuverlässig messbar?
  • Wie gut und repräsentativ waren die Daten, mit denen das ADM ‚gebaut‘ wurde? Wird darüber überhaupt informiert?
  • Wie hoch sind Qualität und Zuverlässigkeit des ADM im Durchschnitt für alle, d.h. wie wahrscheinlich ist ein Ergebnis korrekt, wenn es das ADM liefert? Wie hoch ist diese Güte (performance) für Menschen mit bestimmten Merkmalskombinationen – wie mich? Welche Qualitäten von prozeduraler Fairness erfüllt der Algorithmus?
  • Wie werden die verschiedenen Arten von Fehlern, die das ADM macht, gewichtet? Wie oft erkennt das ADM Relevantes, wie oft hält es Irrelevantes versehentlich für Relevantes? Welche jeweiligen Fehlerkonsequenzen tragen ich, der Anwender und die Institution, mit der ich hier zu tun habe? Inwieweit stimme ich mit der gewählten Gewichtung von möglichen Fehlern überein?


Welche Bildungsprojekte gibt es dazu?


Weiterführende Literatur

  • Gigerenzer, G., Rebitschek, F. G., & Wagner, G. G. (2018). Eine vermessene Gesellschaft braucht Transparenz. Wirtschaftsdienst, 98(12), 860-868.
  • Hertwig, R., & Grüne-Yanoff, T. (2017). Nudging and boosting: Steering or empowering good decisions. Perspectives on Psychological Science, 12(6), 973-986.
  • Lorenz-Spreen, P., Lewandowsky, S., Sunstein, C. R., & Hertwig, R. (2020). How behavioural sciences can promote truth, autonomy and democratic discourse online. Nature Human Behaviour, 4(11), 1102-1109.
  • Rebitschek, F. G., Gigerenzer, G., & Wagner, G. G. (2021). People underestimate the errors made by algorithms for credit scoring and recidivism prediction but accept even fewer errors. Scientific reports, 11(1), 1-11.
  • Gigerenzer, G. (2021). Klick: Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffen. C. Bertelsmann Verlag.
  • Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (2017). Digitale Souveränität. Berlin, Gutachten des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen.

Quellenverzeichnis

  1. Pohle, J., Digitale Souveränität. Ein neues digitalpolitisches Schlüsselkonzept in Deutschland und Europa? 2020: Berlin.
  2. SVRV, Digitale Souveränität, in Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV) S.f.V. (SVRV), Editor. 2017.
  3. Friedewald, M., J. Lamla, and A. Roßnagel, Informationelle Selbstbestimmung im digitalen Wandel. 2017: Springer.
  4. SVRV, Verbrauchergerechtes Scoring, in Gutachten des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen. 2018.
  5. Gigerenzer, G., F.G. Rebitschek, and G.G. Wagner, Eine vermessene Gesellschaft braucht Transparenz. Wirtschaftsdienst, 2018. 98(12): p. 860-868.

Die erste Version dieses Beitrags wurde von Felix Rebitschek erstellt.

Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2022. „Digitale Souveränität.“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.