Anyonyme Äußerung (Rechtswissenschaft)

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Das kommunikative Verhalten einer individuellen Person ohne Namensnennung oder sonstige identifizierende Kennzeichen. Das Recht, Äußerungen anonym zu verbreiten, ist Bestandteil des Rechts auf freie Meinungsäußerung.
Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
Daten (Medienwissenschaft), Meinung (Rechtswissenschaft), Netzwerk (Medienwissenschaft), Öffentlichkeit (Medienwissenschaft), Personenbezogene Daten (Rechtswissenschaft), Zensur (Rechtswissenschaft)

Was bezeichnet dieser Begriff?

Eine anonyme Äußerung ist jede Kommunikation in Wort, Schrift, Bild oder auch eine nonverbale Verhaltensweise, die ohne Namensnennung, das heißt ohne erkennbare oder durch noch verhältnismäßige Hinweisverfolgung ermittelbare Autor_innenschaft erfolgt. Die äußernde Person kann also nicht identifiziert werden. Juristisch geht es um individuelle Anonymität, nicht um die Anonymität einer Gruppe. Kann die Person über eine Gruppenzugehörigkeit identifiziert werden, so mag ihre Anonymität allerdings gleichfalls aufgehoben sein.


Woher kommt der Begriff?

Äußerungen ohne Namensnennung spielten bereits in Zeiten kirchlicher und territorialfürstlicher Äußerungskontrolle und -zensur eine bedeutende Rolle. Als konkretes Recht auf Anonymität taucht der Begriff im Umfeld der Diskussion zum Schutzumfang der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 GG auf. Der Bundesgerichtshof hat mehrfach klargestellt, dass auch eine anonyme Meinungsäußerung verfassungsrechtlichen Schutz genießt.[1] Die Rechtsliteratur hat sich dem überwiegend angeschlossen[2], auch wenn bislang eine Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Punkt noch fehlt. Im Umfeld der Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel haben auch Gesetze mehrfach klargestellt, dass eine anonyme Nutzung dieser Mittel ermöglicht werden muss. Das sogenannte Teledienstedatenschutzgesetz aus dem Jahr 1997 sah in § 4 Abs. 1 vor, dass ein Diensteanbieter[3] "dem Nutzer[4] die Inanspruchnahme von Telediensten und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen [hat], soweit dies technisch möglich und zumutbar ist."[5] Auch die Nachfolgeregelung im Telemediengesetz sieht dies vor (§ 13 Abs. 6 Telemediengesetz[6]). Jeweils geht es einerseits darum, die Erhebung personenbezogener Daten zum Zwecke der Profilierung oder Nachverfolgung von Personen zu begrenzen, andererseits aber auch darum, eine Selbstzensur durch Verschweigen von Meinungen aus Furcht vor Repressionen zu verhindern.[7]


Wonach muss ich fragen?

  • Ist für die Nutzung eines Dienstes oder einer Bezahlmöglichkeit die Angabe von Namen oder personenbezogenen Informationen erforderlich?
  • Ist die vorgenannte Nutzung auch möglich, wenn Identifikatoren[8] dieser Art verweigert werden?
  • Werden die Zwecke genannt, zu denen Namen oder Identifikatoren erhoben und verarbeitet werden?
  • Sind Namen oder Identifikatoren auch für (beliebige oder bestimmte) Dritte sichtbar oder erfahrbar?
  • Kann ich dem Einsatz widersprechen?
  • Ist ein Widerspruch auf einfache und schnelle Weise durchführbar?
  • Kann ich eine Entscheidung, die zu meinen Lasten getroffen wurde, noch angreifen?


Wann ist das wichtig?

Aus juristischer Sicht ist das Recht, sich anonym äußern zu können, integraler Bestandteil der Meinungsfreiheit und wichtige Voraussetzung für die Betätigung von Äußerungsfreiheiten, aber auch für die Gewährleistung der Informationsfreiheit in datensensiblen Kommunikationsumgebungen, insbesondere bei Internetdiensten.[9] Wer Sorge hat, wegen einer Äußerung politisch verfolgt, gesellschaftlich isoliert oder persönlich herabgesetzt zu werden, mag Äußerungen ganz oder in der konkreten Form unterlassen, wenn sie nicht anonym erfolgen können oder dürfen.[10] Die Möglichkeit anonymer Äußerung stärkt daher die Freiheitssphäre der Äußernden. Die Nennung des eigenen Namens ist daher ein Recht, aber keine Pflicht.[11] Die Möglichkeit zur anonymen Nutzung von Kommunikationsdiensten und Bezahlmöglichkeiten wahrt die Informationsfreiheit als Teil der Äußerungsfreiheiten, weil kommunikative Verhaltensweisen nicht als Profile gespeichert und in Dossiers über Bewegungen, Interessen, Neigungen oder Vorzüge verfolgbar sind.[12]

Allerdings hat das Recht oder die Möglichkeit zur anonymen Äußerung oder Informationserhebung auch Schattenseiten. Anonyme Attacken auf Personen erschweren im Falle von Rechtsverletzungen die Verfolgung solcher Verstöße. Angesichts dieser Bedrohung wird in der Rechtswissenschaft bezweifelt, dass es ein verfassungsmäßiges Recht auf anonyme Äußerung generell gibt.[13] Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass "anonymen Äußerungen [...] häufig dasjenige Maß an Authentizität und Glaubhaftigkeit [fehlt], welches ihnen erst den gewünschten Einfluss verleiht oder Reaktionen hervorruft."[14] Daraus wird geschlossen, dass ein Recht auf anonyme Äußerung nur dann in der Abwägung mit gegenläufigen Interessen überwiegt, wenn eine Offenlegungspflicht abschreckende oder einschüchternde Effekte für die Wahrnehmung von Äußerungsrechten hat. Hieraus erklärt sich etwa, dass Presse und Rundfunk die Quellen der von ihnen veröffentlichten Informationen nicht preisgeben müssen.[15] Insbesondere zur Bekämpfung von Hasskriminalität und vorsätzlich falscher und auf Desorientierung der Öffentlichkeit angelegter Tatsachenäußerungen in Internetdiensten wurde ein Zwang zur Verwendung von Klarnamen auf sozialen Netzwerken gefordert.[16] Das mittlerweile geänderte Telemediengesetz hat diese Forderung allerdings nicht aufgegriffen, also das Recht zur anonymen Nutzung von Internetdiensten (Telediensten) aufrechterhalten.[17]


Wie wird der Begriff erfasst/festgestellt?

Das Recht auf Anonymität ist nicht abschließend gesetzlich definiert. Über seine Reichweite entscheiden Gerichte anhand der für den Fall verfügbaren Fakten. Der hohe Rang eventuell abschreckender Effekte der Aufhebung von Anonymität wird dabei ebenso gewichtet wie das Bedürfnis an der Aufdeckung der Anonymität etwa bei der Verfolgung von Straftaten und Persönlichkeitsrechtsverletzungen.


Welche Bildungsprojekte gibt es dazu?

Die meisten Projekte im Bereich der Durchsetzung von Anonymitätsinteressen betreffen die anonyme Kommunikation auf Internetdiensten. In diesem Umfeld geht es auch um das Interesse daran, die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten zu vermeiden. Dazu werden diverse Werkzeuge angeboten:

  • Das Projekt AN.ON - Anonymität.Online der TU Dresden ermöglicht das anonyme Surfen im Internet: https://anon.inf.tu-dresden.de/.
  • Die in den USA tätige Electronic Frontier Foundation (EFF) bietet Werkzeuge, die Webtracking aufdecken sollen: https://coveryourtracks.eff.org/.
  • Für die im Bereich anonymer Äußerungen besonders relevante Praxis des Whistleblowing (unter Verletzung von Verschwiegenheitspflichten erfolgende Hinweise auf Missstände in Unternehmen und sonstigen Organisationen) existieren mittlerweile Netzwerke mit Beratungs- und Unterstützungsangeboten: z.B. https://www.whistleblower-net.de/.
  • Ein sehr bekanntes Werkzeug zum anonymen Surfen bietet das TOR-Projekt, welches den sogenannten TOR-Browser anbietet. Mithilfe des TOR-Browsers, welcher sich der Technik des Onion-Routings bedient, können Verbindungsdaten in Computernetzen verschleiert und so anonymisiert werden: https://www.torproject.org/de/.


Weiterführende Literatur

  • Ballhausen, Miriam und Jan Dirk Roggenkamp. 2008. "Personenbezogene Bewertungsplattformen." Kommunikation & Recht: 403.
  • Bäumler, Helmut und Albert von Mutius. 2003. Anonymität im Internet. Wiesbaden: Springer Vieweg.
  • Beater, Axel. 2019. „Zivil- und medienrechtlicher Schutz von und vor anonymen Äußerungen“. Neue Justiz 73 (9): 365.
  • Brunst, Phillip. 2009. Anonymität im Internet – rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen. Berlin: Duncker & Humblot.
  • Heckmann, Dirk. 2012. „Anonymität der IT-Nutzung und permanente Datenverknüpfung als Herausforderungen für den Ehrschutz und Profilschutz“. Neue Juristische Wochenschrift 65: 2631.
  • Richards, Neil M. 2008. "Intellectual Privacy." Texas Law Review 87: 387-445. https://ssrn.com/abstract=1108268.
  • Rost, Martin. 2003. „Zur gesellschaftlichen Funktion von Anonymität.“ Datenschutz und Datensicherheit (DuD) 23(3): 155. http://www.maroki.de/pub/privacy/dud3anon.pdf.
  • Stieglitz, Eric J. 2007. “Note: Anonymity on the Internet.” Cardozo Arts & Entertainment Law Review 24: 1395.
  • Zingales, Nicolo. 2014. “Virtues and Perils of Anonymity: Should Intermediaries Bear the Burden?” Journal of Intellectual Property, Information, Technology and E-Commerce Law (JIPITEC) 5 (3). https://www.jipitec.eu/issues/jipitec-5-3-2014/4091.


Quellenverzeichnis

  1. Bundesgerichtshof, Urt. v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, in: Neue Juristische Wochenschrift 2009, S. 2888 Randnummer 38.
  2. Vgl. Grabenwarter in Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar 90. EL, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn 86 m.w.N.
  3. Der genannte Begriff steht im generischen Maskulinum. Es handelt sich um einen Fachbegriff der Rechtswissenschaft, der dort bislang nur im generischen Maskulinum verwendet wird. Das Glossar verzichtet auf die Anpassung dieses Begriffes an eine geschlechtergerechte Sprache aufgrund der disziplinspezifischen Notwendigkeit, die Sprache des Gesetzes und des Rechts präzise anzugeben. Zu den Möglichkeiten des Gesetzgebers, geschlechtergerechte Sprache in Gesetzen anzuwenden, gibt es eine aktuelle Diskussion. Siehe vertiefend dazu Mangold, Anna K. 2020. "Mitgemeint. Und täglich grüßt das Murmeltier." Verfassungsblog (13.10.). Aufgerufen am 19.11.2020, https://verfassungsblog.de/mitgemeint/ sowie Nussbaumer, Markus. 2018. "«Gendern» in Gesetzen." LeGes, 29. Aufgerufen am 19.11.2020, https://leges.weblaw.ch/legesissues/2018/1/-gendern--in-gesetze_5c0e8cf2ac.html.
  4. Der genannte Begriff steht im generischen Maskulinum. Es handelt sich um einen Fachbegriff der Rechtswissenschaft, der dort bislang nur im generischen Maskulinum verwendet wird. Das Glossar verzichtet auf die Anpassung dieses Begriffes an eine geschlechtergerechte Sprache aufgrund der disziplinspezifischen Notwendigkeit, die Sprache des Gesetzes und des Rechts präzise anzugeben. Zu den Möglichkeiten des Gesetzgebers, geschlechtergerechte Sprache in Gesetzen anzuwenden, gibt es eine aktuelle Diskussion. Siehe vertiefend dazu Mangold, Anna K. 2020. "Mitgemeint. Und täglich grüßt das Murmeltier." Verfassungsblog (13.10.). Aufgerufen am 19.11.2020, https://verfassungsblog.de/mitgemeint/ sowie Nussbaumer, Markus. 2018. "«Gendern» in Gesetzen." LeGes, 29. Aufgerufen am 19.11.2020, https://leges.weblaw.ch/legesissues/2018/1/-gendern--in-gesetze_5c0e8cf2ac.html.
  5. Vergleiche § 4 Abs. 1 Teledienstedatenschutzgeset: https://www.buzer.de/gesetz/1726/index.htm.
  6. Vergleiche § 13 Abs. 6 Telemediengesetz: http://www.gesetze-im-internet.de/tmg/__13.html.
  7. Ballhausen, Miriam und Jan Dirk Roggenkamp. 2008. "Personenbezogene Bewertungsplattformen." Kommunikation & Recht (7/8), 403; S. 406.
  8. Identifikatoren sind Kennzeichen, welche die Identifikation des sie tragenden Objekts oder Subjekts ermöglichen.
  9. So bereits Spindler in Spindler/Schmitz/Geis, Teledienstegesetz Kommentar, 2004, § 4 TDDSG Rn. 38.
  10. Beater, Axel. 2019. „Zivil- und medienrechtlicher Schutz von und vor anonymen Äußerungen“. Neue Justiz (NJ), S. 365 ff.
  11. Grabenwarter in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar 90 EL Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn 86.
  12. Hierzu Schwartz, Paul. 1999. “Privacy and Democracy in Cyberspace”. Vanderbilt Law Review, Vol. 52, S. 1609, 1652; Richards, Neil M. 2008. "Intellectual Privacy." Texas Law Review 87, S. 416-17.
  13. Für ein solches Recht Heckmann, Dirk. 2012. „Grundrecht auf Anonymität“. Neue Juristische Wochenschrift (NJW), S. 2632.
  14. BVerfG, Urt. v. 24.2.1998 – 1 BvR 131/96, in: Entscheidungen des BVerfG, Band 97, S. 391, 398.
  15. BVerfG, Urt. v. 13.7.2015 – 1 BvR 1089/13, 1 BvR 1090/13, in: NJW 2015, 3430 Randnummer 20.
  16. Gesetzesantrag der Länder Niedersachen und Mecklenburg-Vorpommern vom 07.02.2020, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes zum Zweck der Erleichterung der Identifizierbarkeit im Internet für eine effektivere Bekämpfung und Verfolgung von Hasskriminalität, Bundesrats-Drucksache 70/20. Aufgerufen am 29.01.21, https://www.bundesrat.de/SharedDocs/beratungsvorgaenge/2020/0001-0100/0070-20.html.
  17. Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes und weiterer Gesetze v. 19.11.2020, BGBl. vom 26.11.2020, Teil I S. 2456 (in Kraft getreten am 27.11.2020).

Die erste Version dieses Beitrags wurde von Karl-Nikolaus Peifer im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln erstellt.

Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2021. „Anonyme Äußerung (Rechtswissenschaft).“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.