Advertising Literacy (Medienbildung)

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Die Fähigkeit, kommerzielle Werbung von anderen Vermittlungsformaten zu unterscheiden und ihren Zweck zu verstehen. Förderung von Advertising Literacy, oder Werbekompetenz, wird derzeit besonders im Schulbereich in Bezug auf Smartphone-Nutzung und Online-Computerspiele gefordert.
Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
Algorithmic Literacy (Medienbildung), Computer and Information Literacy (Medienbildung), Digitalisierung (Medienwissenschaft), ICT Literacy (Medienbildung), Medienkompetenz (Medienbildung), Social Media Literacy (Medienbildung)


Was bezeichnet dieser Begriff?

Advertising Literacy, im Deutschen übersetzt als Werbekompetenz, kann als Teilfähigkeit einer übergeordneten Medienkompetenz angesehen werden. Der Begriff beschreibt die Fähigkeit, Werbung als solche zu erkennen und die Intention hinter ihr zu verstehen. Er wird vorrangig im Bereich der Bildung von Kindern und Jugendlichen verwendet, auch wenn es für Unterkategorien wie beispielsweise Targeted Advertising, also zielgruppenspezifische Werbung, auch Studien und Hilfsmittel für Erwachsene gibt.[1]

Der Erwerb von Werbekompetenz wird von dem Wirtschaftswissenschaftler Ralf Terlutter der Universität Klagenfurt und Julia Spielvogel in vier Fähigkeitsstufen unterteilt. Diese umfassen:

  1. die Fähigkeit, Werbung als solche zu erkennen und von anderen Inhalten zu unterscheiden;
  2. die Fähigkeit, die kommerzielle Intention hinter Werbung zu verstehen;
  3. die Fähigkeit, lenkende Werbebotschaften im Detail analysieren zu können;
  4. die Fähigkeit, übergreifende Methoden und Strategien von Werbung zu kennen und zu verstehen.[2]

Diese Fähigkeitsstufen stellen eine Weiterentwicklung des 2010 von Nando Malmelin vorgestellten Advertising-Literacy-Modells dar. Er unterteilt Werbekompetenz in Informational Literacy, Aesthetic Literacy, Rhetorical Literacy und Promotional Literacy.[3] Sein Fokus liegt hierbei auf dem Verständnis der Spezifik von Werbung, die für ihn sowohl in den Zielsetzungen der Botschaften, aber auch in dem persönlichen und eigennützigen Umgang mit ihr liegt. In rhetorischer Hinsicht legt er besonderen Wert auf das Bewusstsein um persuasive Methoden der Botschaftsvermittlung, die mit dem Skandal um für nur Sekunden eingeblendete Bilder von Coca-Cola- oder Popcorn-Werbungen in Kinofilmen ihren diskursiven Startpunkt fanden.[4]

Die Förderung von Werbekompetenz bei Heranwachsenden wird als übergreifende Aufgabe sowohl im privaten als auch im schulischen Bereich angesehen. So sind viele Lehrmaterialien besonders auf den Einsatz an Vorschulen, Grundschulen oder im Unterricht an weiterführenden Schulen ausgerichtet. Gleichzeitig wird Werbekompetenz mit der Ausbildung einer umfassenderen Medienkompetenz verbunden, weshalb auch Erziehungsberechtigte zur Vermittlung angehalten werden. Das familiäre Umfeld wird in Studien zur Werbekompetenz zudem neben anderen als hoher Einflussfaktor angesehen.[5] Gleichzeitig betont Malmelin ebenso das persönliche Interesse von Konsument_innen, ein Verständnis für Funktionsweisen und Methoden von Werbung zu entwickeln. Neben den strukturellen Förderungsmaßnahmen sind daher ebenso individuelle Strategien notwendig.[6]

Die konkrete Vermittlung von Advertising Literacy wird häufig in wissenschaftlichen Studien direkt auf ihre Effektivität hin überprüft. Gefragt wird hier besonders nach der Bewusstseinssteigerung gegenüber Werbung als persuasives Medium.[7] Der Begriff reiht sich damit in eine Fülle von Kompetenzbeschreibungen ein, die im bildungspolitischen Kontext als notwendig für eine digitalisierte Gesellschaft angesehen werden. Hierunter fallen beispielsweise Computer and Information Literacy, ICT Literacy, Algorithmic Literacy oder auch Social Media Literacy.


Woher kommt der Begriff?

Ursprünglich besonders auf Fernsehwerbung bezogen[8], kommt der Werbekompetenz seit Ende der 1990er-Jahre verstärkte Aufmerksamkeit hinsichtlich einer ausdifferenzierten Medienlandschaft zu. Entscheidend weiterentwickelt wurde der Begriff im deutschsprachigen Raum durch den Medienpädagogen Dieter Baacke, dessen Forschung zur Medienkompetenz die Grundlage für die nähere Erforschung pädagogischer Methoden und Ansätze für den Erwerb der Medienkompetenz legte. In dem 1999 erschienenen Buch Zielgruppe Kind: Kindliche Lebenswelt und Werbeinszenierung betont Baacke gemeinsam mit Uwe Sander und anderen, dass die reine Vermeidung von Kontakt mit Werbung bei Kindern in einer mediensaturierten Gesellschaft weder zielführend noch umsetzbar sei.[9] Daher sei es notwendig, gezielte Fähigkeiten auszubilden, mit Werbung umzugehen: Es komme insbesondere auf das Erkennen der Zwecksetzung von Werbung an, also auf das Wissen um die Eigen- und Fremdinteressen der Werbetreibenden und Medienmachenden, um die kommerzielle Absicht hinter der Werbung und die Verschleierungs- oder Manipulationsmethoden, die dafür eingesetzt werden.[10] Gleichzeitig müsse Werbekompetenz ein umfassendes Bündel an Fähigkeiten einschließen, das die Einordnung, den Vergleich und die Beurteilung von Werbung berücksichtigt.[11]

Baacke et al. stellen einen ersten Vorschlag vor, wie Werbekompetenz in qualitativen Interviews bei Kindern gemessen werden kann. Sie erstellen ein Stufenmodell, das die Kompetenz in Fähigkeitsniveaus unterteilt und einen Anhaltspunkt dafür bieten kann, wie weit das Kind in seiner Entwicklung ist. In der Auswertung ihrer Interviews anhand des Stufenmodells gruppieren sie die Kinder zudem entlang ihres Alters, wobei sie darstellen, dass jüngere Kinder weniger Werbekompetenz besäßen als ältere.[12]

Der daraus resultierende Schluss, jüngere Kinder würden leichter von Werbung beeinflusst werden als Jugendliche, wurde unter anderem durch Sonia Livingstone und Ellen Helsper widerlegt. In ihrer Studie zur Effektivität von Werbekompetenzinterventionen in Bezug auf Lebensmittelwerbung zeigen sie, dass Werbetreibende zunehmende ausdifferenzierte Strategien anwenden, um Kinder und Jugendliche altersgemäß anzusprechen. Sie argumentieren, dass die Wirkung von Werbung nicht automatisch mit steigendem Alter oder steigendem Level an Werbekompetenz abnimmt, sondern Werbestrategien weiterhin erfolgreich sein können, wenn sie Kinder und Jugendliche mit anderen Methoden ansprechen.[13]

Seit den 2010er-Jahren verlagert sich die wissenschaftliche Erforschung der Werbekompetenz immer weiter in den Bereich digitaler Medien. So verweisen Dorothee Meister et al. beispielsweise auf die starke Veränderung der Werbelandschaft durch den alltäglichen Gebrauch von Smartphones und Spielekonsolen.[14] Im englischsprachigen Raum hat sich ein großer Forschungszweig bezüglich Werbeformate in digitalen Spielen etabliert. Unter dem Stichwort Advergames werden insbesondere solche Onlinespiele gefasst, die gezielt zu dem Zweck entwickelt wurden, Produkte in einer spielerischen Umgebung zu vermarkten.[15] Häufig handelt es sich hierbei um zucker- und fetthaltige Produkte großer Lebensmittelfirmen, weshalb sich der englischsprachige Bereich der Forschung stark auf den Zusammenhang zwischen Lebensmittelwerbung und Übergewicht bei Kindern fokussiert.


Welche Bildungsprojekte gibt es dazu?

Lernmaterialien für den Einsatz im Schulunterricht werden von zahlreichen Anbietern im Internet zur Verfügung gestellt. Bei der Nutzung ist zu beachten, mit welchem Hintergrund und welchen Interessen die Ressourcen zusammengestellt wurden: Neben vielen unabhängigen oder auf Pädagogik spezialisierten Organisationen wie die bpb oder Universitäten bieten auch einige kommerzielle Unternehmen Material an.


Weiterführende Literatur

  • Baacke, Dieter et al. 1999. "Werbekompetenz." In Zielgruppe Kind: Kindliche Lebenswelten und Werbeinszenierung, herausgegeben von Dieter Baacke et al., 51-72. Opladen: Lesek+Budrich. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97391-7_3.
  • Charlton, Michael et al. 1995. Fernsehwerbung und Kinder. Das Werbeangebot in der Bundesrepublik Deutschland und seine Verarbeitung durch Kinder. Opladen: Leske+Budrich.
  • Livingstone, Sonia und Ellen Helsper. 2006. "Does Advertising Literacy Mediate the Effects of Advertising on Children? A Critical Examination of Two Linked Research Literatures in Relation to Obesity and Food Choice." Journal of Communication 56: 560-584, https://doi.org/10.1111/j.1460-2466.2006.00301.x.
  • Malmelin, Nando. 2010. "What is Advertising Literacy? Exploring the Dimensions of Advertising Literacy." Journal of Visual Literacy 29(2): 129-142.
  • Meister, Dorothee; Friedrichs-Liesenkötter, Henrike und Uwe Sander. 2011. "Förderung von Werbekompetenz bei Kindern: Eine Bestandsaufnahme medienpädagogischer Materialien." Medienimpulse. 49(4): 1-16.


Quellenverzeichnis

  1. Vergleiche hierzu beispielsweise Knoll, Johannes. 2016. "Advertising in social media: a review of empirical evidence." International Journal of Advertising. The Review of Marketing Communications 35(2): 266-300; Farahat, Ayman und Michael C. Bailey. 2012. "How effective is targeted advertising?" WWW '12: Proceedings of the 21st international conference on World Wide Web.: 111–120. Aufgerufen am 23.08.2021, https://doi.org/10.1145/2187836.2187852.
  2. Terlutter, Ralf und Julia Spielvogel. 2010. "Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Werbekompetenz bei Kindern." der markt. 49: 17-41. Aufgerufen am 23.08.2021, https://doi.org/10.1007%2Fs12642-010-0022-y, 18.
  3. Malmelin, Nando. 2010. "What is Advertising Literacy? Exploring the Dimensions of Advertising Literacy." Journal of Visual Literacy 29(2): 129-142, S. 133.
  4. Packard, Vance. 1977 [1957]. The hidden persuaders. Harmondsworth: Penguin Books.
  5. Terlutter, Ralf und Julia Spielvogel. 2010. "Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Werbekompetenz bei Kindern." der markt. 49: 17-41. Aufgerufen am 23.08.2021, https://doi.org/10.1007%2Fs12642-010-0022-y, S. 28.
  6. Malmelin, Nando. 2010. "What is Advertising Literacy? Exploring the Dimensions of Advertising Literacy." Journal of Visual Literacy 29(2): 129-142, S. 140.
  7. Vergleiche hierzu beispielsweise Livingstone, Sonia und Ellen Helsper. 2006. "Does Advertising Literacy Mediate the Effects of Advertising on Children? A Critical Examination of Two Linked Research Literatures in Relation to Obesity and Food Choice." Journal of Communication 56: 560-584.
  8. Vergleiche unter anderem Charlton, Michael et al. 1995. Fernsehwerbung und Kinder. Das Werbeangebot in der Bundesrepublik Deutschland und seine Verarbeitung durch Kinder. Opladen: Leske+Budrich.
  9. Baacke, Dieter et al. 1999. "Werbekompetenz." In Zielgruppe Kind: Kindliche Lebenswelten und Werbeinszenierung, herausgegeben von Dieter Baacke et al., 51-72. Opladen: Lesek+Budrich. Aufgerufen am 23.08.2021, https://doi.org/10.1007/978-3-322-97391-7_3, S. 51.
  10. Baacke, Dieter et al. 1999. "Werbekompetenz." In Zielgruppe Kind: Kindliche Lebenswelten und Werbeinszenierung, herausgegeben von Dieter Baacke et al., 51-72. Opladen: Lesek+Budrich. Aufgerufen am 23.08.2021, https://doi.org/10.1007/978-3-322-97391-7_3, S. 57.
  11. Baacke, Dieter et al. 1999. "Werbekompetenz." In Zielgruppe Kind: Kindliche Lebenswelten und Werbeinszenierung, herausgegeben von Dieter Baacke et al., 51-72. Opladen: Lesek+Budrich. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97391-7_3, S. 59.
  12. Baacke, Dieter et al. 1999. "Werbekompetenz." In Zielgruppe Kind: Kindliche Lebenswelten und Werbeinszenierung, herausgegeben von Dieter Baacke et al., 51-72. Opladen: Lesek+Budrich. Aufgerufen am 23.08.2021, https://doi.org/10.1007/978-3-322-97391-7_3, S. 62ff.
  13. Livingstone, Sonia und Ellen Helsper. 2006. "Does Advertising Literacy Mediate the Effects of Advertising on Children? A Critical Examination of Two Linked Research Literatures in Relation to Obesity and Food Choice." Journal of Communication 56: 560-584, S. 576.
  14. Meister, Dorothee; Friedrichs-Liesenkötter, Henrike und Uwe Sander. 2011. "Förderung von Werbekompetenz bei Kindern: Eine Bestandsaufnahme medienpädagogischer Materialien." Medienimpulse. 49(4): 1-16.
  15. Siehe hierzu unter anderem An, Soontae, Jin, Hyun Seung und Eun Hae Park. 2014. "Children's Advertising Literacy for Advergames: Perception of the game as advertising." Journal of Advertising 43(1): 63-72.

Die erste Version dieses Beitrags wurde von Annabell Blank im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln erstellt.

Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2021. „Advertising Literacy (Medienbildung).“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.